Als Günter Brödl am 22. März 1955 als Sohn von Besitzern eines Bettwarengeschäfts zur Welt kam, vermutete niemand, dass er sich eines Tages vervielfachen würde. Der spätere Erfinder des Ostbahn-Kurti wurde zu dessen „Trainer“ und später auch noch zu seinem eigenen Bruder, dem Musikkolumnisten „Mr. Jive“.
Der Legende nach kam Ostbahn-Kurti zu seinem Namen, als Brödl gemeinsam mit Radiomoderator Wolfgang Kos in einer Musiksendung auf Ö3 den Jahresrückblick 1976 (oder 77?) moderierte. Die beiden legten eine Platte von „Southside Johnny and the Asbury Jukes“ auf. Brödl fragte, wie die Band wohl in Wien heißen würde. „Ostbahn-Kurti und die Chefpartie“, soll Kos geantwortet haben – die virtuelle Geburtsstunde der Wiener Rocklegende.
Es sollte aber noch bis 1979 dauern, bis die Figur erstmals – leibhaftig, in Fleisch und Blut – auftreten sollte. Brödl, nicht nur Radiomoderator, sondern auch Schriftsteller, ließ in seinem Musical 'Wem gehört der Rock 'n' Roll' einen Musiker namens Ostbahn-Kurti auftreten. Das Stück wurde ein Erfolg mit 30 Aufführungen im Theater der Jugend. Die Zeitungen überschlugen sich mit hymnischen Kritiken.
Brödl überlegte sich deshalb, wie es wäre, wenn es den Ostbahn-Kurti in Wien auch abseits des Musicals wirklich gäbe: Er wäre eine gestandene Rock-Legende, die gerade eine neue Platte aufnehmen würde. Die folgende Aktion hatte etwas von den Practical Jokes in der Tradition eines Helmut Qualtinger: Brödl inserierte im Falter, dass er eine alte Ostbahn-Kurti-LP suche, eine Platte, die es in Wirklichkeit nicht gab. Dann kündigte er ein Konzert in der Szene Wien an, mit einer Band, die nicht existierte. Am 1. April 1983 fanden sich auch wirklich Menschen vor der Szene Wien und wollten das Konzert der vermeintlichen Rock-Legende besuchen – leider hing an der Tür ein Schild: Ausverkauft!
Wie aus dem Practical Joke eine echte Rock-Legende wurde, erzählt Ostbahn-Kurti himself in unserem Interwiew:
"I"
dieZeitschrift: Wie haben Sie den Günter Brödl kennengelernt?
Willi Resetarits: Irgendwie kennt man sich in Wien immer. 1976 waren wir beide bei der Arena-Besetzung. Da haben wir uns wahrgenommen. Dann hat er mich um einen Termin gebeten. Wir trafen uns in meinem damaligen Büro, im ehemaligen Cafe Grillparzer. (Heute Cafe Blaustern).
Zum Treffen brachte er eine Tonbandkassette mit Originalsongs und eine Mappe mit Songtexten, die er auf wienerisch übersetzt hatte, mit. Ich glaube jedenfalls, es was so. Er hat mich gefragt, wer denn diesen Ostbahn-Kurti, für den er die Texte geschrieben hat, verkörpern könnte. Weil: in Wirklichkeit hat es den Ostbahn-Kurti schon gegeben. Es hat Veröffentlichungen von Gedichten gegeben und auch Inserate, wo nach raren Ostbahn-Platten gefragt wurde. Jeder hat geglaubt, es gibt den Kurtl wirklich. Jetzt wollte der Günter, dass der Kurtl auch selber einmal spielt und er fragte mich, als Experten in der Szene, wer das sein könnte.
Nach einer Bedenkzeit von drei Tagen trafen wir uns wieder und ich sagte „I“. Ich war mir nicht sicher, ob er vorsichtig anfragen wollte, ob ich das machen möchte, aber nicht direkt fragen wollte, oder ob er wirklich nur einen Tipp haben wollte. Ich hatte mich mit der Kurtl-Materie auseinandergesetzt, mit der Qualität der Texte, mit den vorgeschlagenen Songs. Da war mir klar: Ich g'spür in mir schon den Kurtl, ich bin der Kurtl. Das hat der Günter dann auch akzeptiert.
Der springende Verfolger
dieZeitschrift: Wie ist es weitergegangen?
Willi Resetarits: Wir haben ins Blaue hinein Pläne geschmiedet. Der Günter hat in der Szene Wien ein Konzert veranstaltet. Er hängte Plakate mit der Konzertankündigung auf. Aber dann waren die Türen leider versperrt und es klebten „Ausverkauft“-Schilder dran.Von drinnen ist eine laute Musik gekommen. Draußen standen ein paar Leute und dachten wohl: Der Kurtl, der muss ganz schön viel Publikum haben, wenn in der Szene ausverkauft ist.
Ich habe mich dann eineinhalb Jahre lang mit der Produktion der Kurtl-Platte beschäftigt. Wir hatten damals mit den Schmetterlingen das Schmetter-Sound-Studio am Bisamberg und dort beschäftigte ich mich mit den Liedern. Nach und nach sind Kollegen dazugekommen, die ich in ihre neue Identität eingewiesen habe. Alle haben gewusst, weil ich es ihnen gesagt habe, da kummt ka Göd eina, das dürft ihr machen, wenn ihr auch Träumer seids.
Im 83er-Jahr war die Platte fertig. Im Jänner 1985 haben wir die erste Platte Ostbahn-Kurti und die Chefpartie veröffentlicht. Bekannt geworden gleich im Jänner 1985, dann ein bisserl brotlos gespielt, was ganz wichtig ist für eine richtige Band. Wir haben wahnsinnig gerne gespielt, auch wenn nur drei oder 17 oder 27 Besuchern da waren. Von da an waren wir permanent beieinander.
Bei den ersten Konzerten in den ersten Jahren war Günter immer mit dabei und ist den Verfolger gefahren, das schwenkbare Licht auf der Bühne. Das haben wir später eingestellt, weil der Günter war so begeistert, dass er zugleich auch Publikum war und bei den rhythmischen Nummern ist er gehupft, was den Verfolger relativ beweglich gemacht hat. Dann hat man auf der Bühne nichts mehr gesehen.
Der Traum
dieZeitschrift: Wie war es, mit dem Brödl zu arbeiten?
Willi Resetarits: Super. Ganz problemlos. Es hat sich etwas glückliches gefügt, nämlich: wir haben einander ergänzt. Der Günter hat die Texte geschrieben. Er lieferte die Zeilen, ich habe die Musik umgesetzt. Der Günter hat sich nicht wirklich eingemischt, wie wir spielen.
dieZeitschrift: Wie war Günter Brödl?
Willi Resetarits: Ein Träumer, mit dem Kopf in der Luft, niemand, der am Boden der Realität steht, kein Macher, auch keiner, der die Geschäftsführung übernimmt oder gar die Finanzen regelt. Wenn er Geld gehabt hat, dann war es bald auch wieder weg. Er hat sich Milliarden von Platten gekauft. Ein Träumer war er auch, was seine Ideen und Wünsche betraf. Er hat sich den „Ostbahn-Kurti und die Chefpartie“ erträumt und wir waren dankbar, dass wir den Traum ein bisschen leben dürfen.
dieZeitschrift: Wie erlebten Sie den den 10.10.2000?
Willi Resetarits: In der Früh habe ich von Brödls Gattin von Günters Tod erfahren. Es gibt Menschen, die im Schmerz aufgehen, dann gibt es Andere, die schauen, was zu tun ist. Wie und in welcher Form wird die APA benachrichtigt? Mir war es wichtig, dass man in die Öffentlichkeit geht. Es hat mir über den Schmerz hinweggeholfen, dass ich teilweise die Contenance bewahren musste.
dieZeitschrift: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Ernst Molden, mit dem Sie jetzt zusammenarbeiten, und Günter Brödl?
Willi Resetarits: Alles ist ähnlich. Ähnlich ist, das ich sehr gerne mit Menschen zusammenkomme, die die guten Texte schreiben. Ich würde auch gerne gute Texte schreiben, kann es aber nicht. Das eint den Günter und den Ernst. Der Ernst schreibt Songs, an denen gibt es nichts zu verbessern. Ich darf die Lieder dann singen. Das ist meine selbstgewählte Aufgabe, die guten Lieder richtig zu interpretieren. Slave to the song. Wir verstehen uns gut und es ist ein Freude, gemeinsam mit Hannes Wirth und Walther Soyka zu spielen.
dieZeitschrift: Wie haben Sie Ernst Molden kennengelernt?
Willi Resetarits: Er war ein ganz junger Polizeireporter bei der Presse, noch keine 20 Jahre alt. Er hat den noch nicht ganz so bekannten Kurtl um ein Interview gebeten. Den Text hat er mir dann auf einen Karton affichiert und geschenkt. Das war in der Phase, als ich auch dem Ernst noch berichtet hatte, das wir keine finanziellen Erwartungen an den Kurtl richten, weil es kommen eh wenig Leute zu den Konzerten, aber wir sind trotzdem so begeistert, dass wir spielen.
Ein Mißverständnis
dieZeitschrift: Wie kam es, dass Sie und Molden zusammen spielen?
Willi Resetarits: Es vergingen ein paar Jahrzehnte. Ernst veröffentlichte zuerst Romane und Theaterstücke, perfektionierte die Gitarre im nicht öffentlichen Raum und trat erst später als Singer/Songwriter verstärkt in Erscheinung. Als solchen hatte ich ihn in meiner Sendung Trost und Rat. Wir verstanden uns so gut, dass er gemeint hat, er würde gerne etwas für mich tun. Ich hab ihn schlecht verstanden, ich bin schwerhörig. Ein Missverständnis. Ich hab nicht verstanden, dass er Benefizkonzerte für das Integrationshaus, oder Vorband beim Stubnblues spielen will. Das habe ich nicht verstanden und hab mir gedacht, der Ernstl will was für mich tun, weil wir uns sehr sympathisch sind. Dann hab ich gesagt, weißt was, schreib ein Lied für mich. Ich würde mir das wünschen, das wäre mir eine große Ehre. Dann hat er die Hammaschmidgossn für den Stubnblues geschrieben. Er fragte mich, ob er das Lied, das er für den Stubnblues geschrieben hat, selber auch aufführen darf. Ich hab ja gesagt und dann hab ich gleich mitgesungen. Das war der Beginn unserer Zusammenarbeit.
dieZeitschrift: Wie geht es weiter?
Willi Resetarits: Keine Pläne, ich mach jetzt eine ausgiebige selbstauferlegte Pause. Nach menschlichen Ermessen werden wir weiter miteinander musizieren. Ich wäre blöd, wenn ich das Zusammenspielen auslassen würde. Das ist ja wunderschön. Aber ich mache keine Pläne, daher kann ich auch die Frage nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Zuerst muss ich meine Ohren sanieren.