Kommunikationstalent

Der Pianischt kann Ster- und Grissemanns Alpenzoo auswendig. Das Ja, natürlich! kommt ihm so authentisch über die Lippen, als wär’s original von der Bio-Sau.

Das Schöne an langen Nächten ist nicht zuletzt, dass man mitunter ungeahnte Fähigkeiten an sich entdeckt. So kann der Pianischt Ster- und Grissemanns Alpenzoo auswendig. Komplett und authentisch, inklusive Kackkadu, Kockonut Krove und Die Deitsch’n, de Scheiß-Deitsch’n, de hom in Knut und mir homd’n nidda!. Gut, das liegt ihm vielleicht im Blut, Grissemann ist ja auch Tiroler. Vielleicht aber überraschend: Das Ja, natürlich! kommt ihm so authentisch über die Lippen, als wär’s original von der Bio-Sau.

Ich kann dafür Oida rülpsen. Aber erst nach dem fünften Bier. Früher hatte ich auch Jörg im Repertoire, doch das wird heute nur noch selten verlangt. Mit solchen Fähigkeiten ist Kommunikation auch dann möglich, hat man sich gerade nichts Besonderes zu sagen. Small Talk beherrscht nicht jeder und erst stete Übung macht den Meister.

In der Regel hat man sich aber was zu sagen. Etwa via SMS:
So, 2. März, 21:37 Uhr (ich): bist pudern oder unterwegs?
So, 2. März, 21:38 Uhr (Pianischt): kurz vorm pudern.
Mo, 3. März, 00:38 Uhr (ich): schon gepudert?

Mo, 3. März 2013, 04:51 Uhr (nochmal ich): wo bischt?
Mo, 3. März, 17:23 Uhr (Pianischt): hilfe! sie wird mir immer unheimlicher. sie geht nimmer, redet wirr und fangt grad an, meine wohnung zu putzen! war keine gute idee…

Ganz selten überschneidet sich der Denkprozess sogar mit der Rede:
„Wir könnten eigentlich ins Einhorn gehen.“
Pianischt: „Na, i will nit ins Einhorn. Was tatad i heut im Einhorn? Gemma ins Einhorn!“

Die stets kompatible Ausnahmeerscheinung heißt Lörkas. Seine Punkband ist ihm seit den siebziger Jahren weggestorben, ebenso seine Fans. Er ist heute ein Relikt, quasi der Shane MacGowan von Wien. Manchmal steigt er herab, sucht er seinen Platz unter den Menschen, und auch wenn er eigentlich nur noch grinst, ist es immer schön, ihn zu sehen. Er passt in jede Runde. Kommunikation bedarf keinesfalls immer sinnvoller Worte.
Ist der Pianischt mal nicht zugegen, kann folgendes passieren, meist nachmittags und telefonisch:
„Hab ich dich aufg’weckt?“
„Na, i han no nix g’schlof’n."

Der Trinker würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Denn sein Bier schmeckt ihm nur in guter Gesellschaft. Ansonsten hält er es mit George Bernard Shaw: „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.“ Geboren tief im Süden, im Jahre Woodstock, lebt er seit bald zwanzig Jahren in Wien. Wie alle „Zuagrasten“ aus der Provinz wollte er diese hier vergessen. Nüchtern gelingt das nur schwer, trägt doch jeder seine ganz persönliche Provinz mit in die Hauptstadt, wo sie dann auf die gelebte Provinz der Wiener trifft. Erst Alkohol weicht die Grenzen auf, beseitigt Hürden der Vernunft und lässt entstehen, was eine Weltstadt ausmacht: Freiheit. Er würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Trinken ist für ihn ein Spiel mit der Realität, Wahnsinn auf Zeit, Eintrittskarte zu einem Schauspiel, wo Absurdes Theater nüchternen Alltag von der Bühne fegt. Wenn dann Masken und Etikette fallen, wird alles möglich und der Mensch lässt sich nicht länger verstecken. Auf die Begleitung seines Hirns muss man dort verzichten, und der Bauch spricht eine völlig andere Sprache als der Kopf. Die wichtigsten Dinge im Leben, davon ist er überzeugt, muss man fühlen, rational lassen sie sich nicht erfassen. Wie also nüchtern diese Welt betreten, mit unseren durch Jahrtausende der Zivilisation verkümmerten Sinnen? Unmöglich! Was hätte die Menschheit ohne Alkohol schon vollbracht? Es gäbe wohl nur die halbe Kunstgeschichte, wahrscheinlich die schlechtere Hälfte. Grenzen sind Illusion, das hat er erkannt, aber auch, dass Grenzenlosigkeit in die Leere führt. Sein Bier schmeckt ihm erst in guter Gesellschaft, und ist sie wirklich gut, dürfen Runden auch weit länger dauern als bis zum frühen Morgen. Künstler, Lebenskünstler, echte Wiener und andere Wahnsinnige, sie alle bevölkern seine Reise entlang dem schmalen Grat zwischen Sucht und Abstinenz.