Liebesg'schichten

Polyamorie ist mitunter ganz schön gefährlich. Zerstört der Pianischt mal die heilige Ordnung der Teppichfransen, dann droht ihm der Franschnkampl.

„Warum“, fragt der Pianischt, „schreibst immer nur über meine Frauen und nie über deine?“
„Stimmt doch gar nicht“, entgegne ich, „nimm eh immer Rücksicht auf deine Privatsphäre“.
„P r i v a t s c h f ä r e? Auf meine? Do nimmscht DU Rückschicht drauf?“
„Na sicher“, versuche ich ihn zu beruhigen, „die ganze Zeit über. Oder habe ich etwa jemals die Fransenfrau erwähnt? Nein? Eben“.
„Wer bitte ist die Fransenfrau?“, will jetzt die Prinzessin aus dem Orient wissen und grinst voller Vorfreude von einem ihrer schönen Ohren zum anderen.
„Ah nix, du wascht eh, die F.“, will der Pianischt das Thema sofort abwürgen.
„Die Schöne von der Angewandten, ja, von der hast mir erzählt, aber wieso ‚Fransenfrau’?“ Sie lässt nicht locker.
„Na, du wascht ja, sie hot a große, schiane Wohnung am Noschmorckt. Eh a richtige Künschtlerwohnung, oba sie hot an Tick mit ihre Perserteppich, mit de ge’rbten. Des isch olles.“
„Geh bitte, jetzt erzähl doch die ganze G’schicht!“, fordere ich ihn auf. „Was passiert zum Beispiel, wenn du ihre Teppichfransen durcheinander bringst?“

„Jetzt bitte, ja, ich möcht’ das wissen!“ bettelt die Prinzessin.

„Na normalerweise ischs jo eh gmiatlich, oba wenn de depperten Teppichfranschn net gaunz genau auschg’richt sand, also kampelt weckschtian, dann wirdsch ungmiatlich.“
„Dann kommt sie mit dem Teppichkamm“, werfe ich ein.
„Die hat einen Kamm für ihre Teppiche?“
„Jo, so an Franschnkampl, an groaßn, den hots ma drüberzogen, wal i de bleden Franschen amol durchanaundbrocht hob und sie desch nit ausholt, wann de Franschen net genau da Quer noch weckschtian. I hun holt nit aufpasst und des hot sauweh tan.“
„Die drischt dich mit dem Fransenkamm, wennst unordentlich bist. Aber jetzt isses eh schon wurscht, kannst gleich auch von Tschitti Tschitti Bäng Bäng erzählen.“
Er schaut mich an wie Tobiasch Moretti in Österreichs jüngstem Oscar-Beitrag Das Finstere Tal, als dieser seine sicher bald schon legendäre Drohung ausspricht:
„DU!!! BISCHT HIN!! Schwör i!“

Irgendwo in meinem Kopf spielt was von Ennio Morricone, ich beiße mir auf die Zunge, presse die Lippen zusammen und schaue ganz unschuldig der dicken Deutschen beim Bierbringen an den Nachbartisch zu.

Der Pianischt boxt mich in die Rippen. „Warum erzöscht ihr net de G’schicht von deiner N.? Woscht mi, kaum is sie aufs Klo gangen, am Arm packt und gmant hoscht: ,Sog ehrlich jetzt, isch des a Monn?’“

Doch die Prinzessin bleibt beharrlich: „Die kenn’ ich doch schon“, was ist jetzt mit Tschitti Tschitti Bäng Bäng?“
„Das war halt schon der Nachmittag einer Nacht und sie war dann eh kein Mann“, versuche ich zu beschwichtigen, aber das interessiert gerade niemanden.
„Na, jetscht mog i nimmer. Sullsch er doch dazöhn. Mir issasch jo wurscht.“
„Ja bitte, erzähls mir!“
„Na du kennst doch seine Hundefrau, die schon etwas ältere Musiklehrerin“, setze ich an.
„Die, die immer Opernarien singt und nackt mit ihm durch die Wohnung tanzt?“
„Durch ihre Wohnung, ja, in seiner könnt’ niemand tanzen. Einmal wollte sie nicht so richtig und hat sich von ihm eher durch die Wohnung jagen lassen.“
„Na de spinnt holt, manchmol. Zerscht wollts, dann ischs wieder davongrennt, dann wieda kommen, dann warsch wieder weck“
„Besprungen hat er sie schließlich auf der Wohnzimmercouch, sie lag auf dem Bauch, vor ihr der Laptop, darauf lief Tschitti Tschitti Bäng Bäng, das Musical, und sie hat während der ganzen Zeit laut mitgesungen, so war’s doch, oder?“
„JO!!! SO WORSCH!! Na und!“

Neben uns kommt zwischen krampfartigen Lachstößen der Prinzessin gerade ihr Grüntee wieder auf die Tischplatte.

„Geh, du sitzt besser, wink der dicken Deitschen und sag ihr, dass ma an Fetzen brauchen!“, fordere ich den Pianischten auf und tätschle der Prinzessin den Rücken. Schon beginne ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen, da stößt sie mühsam hervor: „Das… ist gar keine Deutsche. Die redet nur so.“

Der Trinker würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Denn sein Bier schmeckt ihm nur in guter Gesellschaft. Ansonsten hält er es mit George Bernard Shaw: „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.“ Geboren tief im Süden, im Jahre Woodstock, lebt er seit bald zwanzig Jahren in Wien. Wie alle „Zuagrasten“ aus der Provinz wollte er diese hier vergessen. Nüchtern gelingt das nur schwer, trägt doch jeder seine ganz persönliche Provinz mit in die Hauptstadt, wo sie dann auf die gelebte Provinz der Wiener trifft. Erst Alkohol weicht die Grenzen auf, beseitigt Hürden der Vernunft und lässt entstehen, was eine Weltstadt ausmacht: Freiheit. Er würde sich selbst nie Alkoholiker nennen. Trinken ist für ihn ein Spiel mit der Realität, Wahnsinn auf Zeit, Eintrittskarte zu einem Schauspiel, wo Absurdes Theater nüchternen Alltag von der Bühne fegt. Wenn dann Masken und Etikette fallen, wird alles möglich und der Mensch lässt sich nicht länger verstecken. Auf die Begleitung seines Hirns muss man dort verzichten, und der Bauch spricht eine völlig andere Sprache als der Kopf. Die wichtigsten Dinge im Leben, davon ist er überzeugt, muss man fühlen, rational lassen sie sich nicht erfassen. Wie also nüchtern diese Welt betreten, mit unseren durch Jahrtausende der Zivilisation verkümmerten Sinnen? Unmöglich! Was hätte die Menschheit ohne Alkohol schon vollbracht? Es gäbe wohl nur die halbe Kunstgeschichte, wahrscheinlich die schlechtere Hälfte. Grenzen sind Illusion, das hat er erkannt, aber auch, dass Grenzenlosigkeit in die Leere führt. Sein Bier schmeckt ihm erst in guter Gesellschaft, und ist sie wirklich gut, dürfen Runden auch weit länger dauern als bis zum frühen Morgen. Künstler, Lebenskünstler, echte Wiener und andere Wahnsinnige, sie alle bevölkern seine Reise entlang dem schmalen Grat zwischen Sucht und Abstinenz.