Holzbaum Verlag / Daniel Jokesch
Karl Kraus

Weltuntergang in 112 Bildern

Dienstag, 9. Dezember 2014
Daniel Jokesch ist Karikaturist und Karl-Kraus-Liebhaber. Er unternahm jetzt den wahnwitzigen Versuch, Kraus' 800-Seiten-Werk „Die Letzten Tage der Menschheit“ auf 112 Zeichnungen zu verdichten. Ihm ist ein Buch gelungen, das die ironische Beobachtungsgabe und die ätzende Gesellschaftskritik von Kraus als Comic wiederzugeben, ohne dass die Eindringlichkeit und die Absurdität der Situationen verloren gehen.
Daniel Jokesch zeichnet Karl Kraus Letzten Tage der Menschheit
Holzbaum Verlag / Daniel Jokesch
Die Letzten Tage der Menschheit

Es war für den Cartoonisten kein leichtes Unterfangen, aus den 220 Szenen und über 500 Figuren aus Kraus' großer Abrechnung mit dem ersten Weltkrieg jene auszusuchen, die sich als Comicstrip darstellen lassen. Drei mal musste Daniel Jokesch die rund 800 Seiten lesen, um Szenen zu finden, die in höchstens drei Bildern umsetzbar sind und in ihrer Gesamtheit einem roten Faden folgen.

Diese Herausforderung ist gewaltig: Das Monumentalwerk, als „Tragödie in fünf Akten“ konzipiert, wurde wegen seines Umfangs und seiner collagenhaften Art nie vollständig aufgeführt; Kraus selbst schrieb im Vorwort, dass das Werk wohl nur in einem „Marstheater“ spielbar sei, weil kein Theater der Welt könnte das Stück komplett aufführen könne. Jokesch spielte selbst mit dem Gedanken, die Protagonisten als Marsmännchen darzustellen.

Letztlich konnte er sich mit der momentanen Ausführung mehr anfreunden. Zumal für ihn die Handlung immer weiter an die heutige Realität heranrückte: „Anfangs hatte ich bei der Lektüre das Gefühl, in eine weit entfernte Zeit zurück zu gehen. Aber während der Arbeit am Buch habe ich immer mehr Bezüge zu heute gefunden. Wie etwa zur ISIS,“ sagt Jokesch. „Als einen der ersten Cartoons zeichnete ich nach einer Originalvorlage einen Mann, der einen Kopf am Stecken hochhält.“

Genauso schildert es auch Kraus im V. Akt: Der Hauptmann Prasch hat einen italienischen Gefangenen mit seinem Säbel enthauptet und den Kopf auf einen Stock gespießt. „Durch die ISIS ist diese Art von Darstellung wieder aktuell geworden. Heute gibt es auf Youtube die Videos, in denen Terroristen Menschen enthaupten, früher wurden Postkarten mit solchen Motiven verschickt, wo der Gehenkte mit seinem Henker abgebildet war. Meine Erkenntnis aus dem Ganzen ist, dass die Schicht unserer Zivilisation sehr dünn ist. Vor gerade mal 100 Jahren ist es bei uns auch nicht anders zugegangen.“

Weltentragödie

Daniel Jokesch
privat
Der Cartoonist Daniel Jokesch

Der Pazifist Kraus' lässt die „Weltentragödie“ kaum je direkt am Schlachtfeld spielen. Die wahren Grausamkeiten beobachtet er beim Verhalten der alles beschönigenden Patrioten, bei den „Heldengeschichten“ der hohen Offiziere und bei den Kriegsprofiteuren: „Wer in diesem Krieg nicht reich wird, verdient nicht, ihn zu erleben.“ Kraus ist vor allem ein Sammler von Stimmen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. Die oft überspitzt wirkenden Dialoge stammen teilweise aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln.

Im Vorwort schreibt er: „Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen! Ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate.“

Comicstrips

Auf die Idee, „Die letzten Tage der Menschheit“ als Comicstrips zu präsentieren, kam Jokesch beim Aufräumen. Seine kleine Tochter hatte die Angewohnheit, mit einer bestimmten Regelmäßigkeit das Bücherregal auszuräumen. „Ich stand inmitten der Bücher und hab mir dann immer wieder eines geschnappt und hab darin geblättert, irgendwann stolperte ich über 'Die Letzten Tage der Menschheit' und ich dachte mir, dass sich diese gut für einen Comic eignen würden.“

"Liebet Eure Feinde"

Daniel Jokesch zeichnet Karl Kraus Letzten Tage der Menschheit
Holzbaum Verlag / Daniel Jokesch
Die Letzten Tage der Menschheit

Bestimmte Argumentationen haben sich in den letzten 100 Jahren kaum geändert: bei Kraus verteidigt ein Pfarrer die Aufhebung der Nächstenliebe auf dem Schlachtfeld: „Jesus hat das Gebot 'Liebet eure Feinde!' nur für den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker zueinander.“

Heute, in der Wahlkampfrhetorik von H. C. Strache, klingt das ganz ähnlich: „Nächstenliebe beginnt ja beim Nächsten, der Familie und der eigenen Bevölkerung, und nicht beim Übernächsten. Und wenn dann noch Geld übrig bleibt, kann man gerne auch andere unterstützen. So wie es in der Bibel steht.“ (Quelle: Format, 20.07.2008) Naheliegend, dass Jokesch dem Pfarrer das Gesicht von Strache gab. „Man hat das Gefühl, dass sich alles immer wiederholt.“

„Idealbild der Wiener Phantasie“

Daniel Jokesch zeichnet Karl Kraus Letzten Tage der Menschheit
Holzbaum Verlag / Daniel Jokesch
Die Letzten Tage der Menschheit

Nicht alle Szenen eigneten sich jedoch für Comicstrips, andere hingegen „waren einfach perfekt, vor allem die absurden Dialoge“, wie die der Vertreter, die sich im Zug treffen und über ihre Produkte sprechen: über den Honigfliegenfänger „Hindenburg“ und die „Diana“-Kriegsschokolade. Vollkommen aberwitzig erscheint auch die Szene, in denen ein Knödel auf einer Ansichtskarte als Sinnbild des österreichischen Geistes und „Idealbild der Wiener Phantasie“ verehrt wird.

„Biographie in Bildern“

Über den Autor

Daniel Jokesch ist Jurist, übt diesen Beruf aber nicht aus. Er zeichnet regelmäßig für die Tiroler Tageszeitung und für die Wiener Zeitung. Wenn er nicht zeichnet, lektoriert er Texte für juristische Fachpublikationen und für den „Falter“ oder räumt hinter seiner zweijährigen Tochter her.

„Die Letzten Tage der Menschheit“ ist bereits Jokesch drittes Cartoonbuch; 2012 erschien das an einem ehemaligen Finanzminister geschulte Buch „Buwockl – Der Kobold mit dem schönen Haar“, 2013 „Otto Wanz – Ein Leben für und gegen das Telefonbuch“.

Während die Wrestlinglegende Wanz Jokesch zu sich nach Haues einlud und für die „Biographie in Bildern“ lobende Worte fand, ist nicht überliefert, ob Karl-Heinz Grasser den Buwockl gelesen hat. „Wenn er sich gemeldet hätte, wahrscheinlich nur per Anwalt. Das ist aber bisher noch ausgeblieben.“

Am 12. Dezember 2014 präsentiert er die „Letzten Tage“ im Shop der „Komischen Künste“ im Museumsquartier; es gibt eine Weinverkostung mit den „Letzten Tropfen der Menschheit“ des Stammersdorfer Winzers Manuel Nössing.

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