Fitnesswunder, Teil 1

Sixpack durchs Schachspielen? Oder zumindest wieder in die Badesachen passen, wenn man nur oft genug zum Klubabend geht? Das klingt verlockend: Während einer Turnierpartie werden immerhin bis zu 1200 Kilokalorien verbrannt.

Bei nur wenigen Themen wird so hemmungslos gelogen wie in puncto Körpergewicht und Körperertüchtigung. Am öftesten belügt man sich natürlich selbst, am zweitöftesten seine bessere Hälfte. So ist frau zu Recht misstrauisch, wenn der schwimmbereifte Göttergatte kurz vor Mitternacht bei der Tür hereinwankt und auf die Nachfrage, wo bitteschön er denn den ganzen Abend gesteckt habe, stolz verkündet: „Ich war trainieren!“ Ja, es stimmt, sein Hemd stinkt nach Schweiß, und aus den Schuhen dampft es auch ganz schön heraus, aber kann es wirklich sein, dass er sich mit Hanteln abgequält, auf dem Laufband gekeucht und dem Rudergerät getrotzt hat?

Eh net. Schach hat er nämlich gespielt, der Hallodri. Darüber, ob unser liebstes Brettspiel Sport ist, wird einmal gesondert zu diskutieren sein, doch eines ist gewiss: Jeder fanatische Schach-Liebhaber wirft früher oder später in die Argumentationswaagschale, dass ein Turnierspieler während einer stundenlangen Partie genau so viel Energie verbraucht wie ein Fußballspieler oder Marathonläufer. Meistens sind dann alle kurz erstaunt, allerdings ebenso schnell überzeugt, weil es irgendwie schon glaubhaft scheint, dass die ganze Denkerei körperlich sehr fordernd ist – haben wir uns nach einem langen Schultag denn nicht selbst oft ziemlich matt gefühlt? Da man das also immer wieder hört und es sogar von so honorigen Herren wie dem einen oder anderen Schach-Großmeister erzählt wird, ist es eine Urban Legend geworden, so wie die sprichwörtliche Angst des Elefanten vor der Maus.

Uns Schachspielern ist das Gschichtl durchaus willkommen, wir glauben ja selbst gerne daran. Die Richtigstellungen der Schachverbände halten sich daher in Grenzen: Klarerweise sehen wir unser Hobby lieber mit prestigeträchtigen Leistungssportarten auf eine Stufe gestellt als mit zwielichtigen Gasthaus-Hinterzimmer-Kartenspielern, -Pfeilchenwerfern und -Kegelscheibern. Wir Schachspieler sind zwar nicht schön, aber eitel sind wir schon.

Die Fakten

Tatsächlich frisst unser Gehirn beeindruckende 20 % unseres Energiegrundumsatzes (das heißt, wenn wir uns gar nicht anstrengen, sondern einfach nur am Leben bleiben), und Schach findet ja bekanntermaßen im Kopf statt. Das klingt schon mal nicht schlecht. Die Hirnleistung insgesamt besagt freilich nicht viel, denn das 20-Watt-Organ (auch nicht eben eine große Leuchte…) benötigt seine Energie hauptsächlich zur bloßen Steuerung der Körperfunktionen wie Atmung, Verdauung usw., und diese Werte lassen sich nicht beliebig steigern. Selbst, wenn es so wäre, was sagte das aus? Diesbezüglicher Spitzenreiter unter den Organen ist nämlich die Leber – und würden wir einem Alkoholiker zustimmen, der voll Inbrunst verkündet, Säufer seien deswegen Top-Sportler, weil ihre Leber so viel arbeitet?

Nüchtern nachgerechnet: Faustregelgemäß beträgt bei einem 80 Kilogramm schweren Mann der Grundumsatz 80 kcal (Kilokalorien) pro Stunde. Durch sehr angestrengte Denkarbeit lässt sich dieser um bis zu 50 % erhöhen, womit wir dann bei bestenfalls 120 kcal/Stunde halten. Dazu kommt der Leistungsumsatz für die „echte“ körperliche Betätigung, sprich für’s Umhergehen, das Absondern von Angstschweiß und hochfrequentes Nägelbeißen. Bei überwiegend sitzenden Tätigkeiten werden dafür normalerweise zusätzliche 60 % veranschlagt, doch wenn man dem Schachspieler starkes Herzklopfen sowie viele eilige Toilettengänge unterstellt und auch noch eine Blitzphase mit ein paar wirklich schnellen Bewegungen miteinkalkuliert, darf man schon sehr großzügig mit 100 % rechnen. Somit verbraucht der adrenalingeschwängerte Hochleistungshölzlschieber 240 kcal pro Stunde, und das summiert sich in einer fünfstündigen Schachpartie auf immerhin 1200 kcal.

Fortsetzung folgt

Das ist prinzipiell einmal gar nicht wenig, so viel sei vorab verraten. Warum die Bewegungssportler den Vergleich trotzdem haushoch gewinnen und warum langes Nachdenken sogar dick machen kann, erfahren Sie aber erst in der nächsten Kolumne. Bleiben Sie dran!

P. S.: Dass Schachspieler gleichzeitig sportlich sein können, beweist Valentin Dragnev aus Wien. Der 17-Jährige ist soeben nicht nur (wie schon in der Kolumne „Schachadel“ angekündigt) Internationaler Meister geworden, sondern er läuft auch jeder Straßenbahn nach, bekommt einen kerzengeraden Handstand hin und spielt bei – halten Sie sich fest – Bayern München in der deutschen Bundesliga. Im Interview mit der Tageszeitung KURIER spricht er über Weißwürste, Geld, Großmeister-Partys sowie den Unterschied zwischen Schach und Disco – erfreulich unschachlich.